Die Einigungsstelle kann bereits – einseitig – angerufen werden, wenn eine einvernehmliche Einigung ernsthaft versucht, aber nach Auffassung von Arbeitgeber oder Betriebsrat erfolglos geblieben ist. Dies ist z.B. nach verschiedenen Entscheidungen von (Landes-) Arbeitsgerichte der Fall, wenn
- sich eine Seite weigert überhaupt zu verhandeln; sei es ausdrücklich oder wenn das Verhalten diesen Schluss („konkludent“) zulässt, etwa durch zeitliches Hinhalten oder Schweigen;
- eine Seite die Verhandlungen für gescheitert hält, selbst wenn die Gegenseite anderer Auffassung ist;
- nach Einschätzung einer Seite eine Einigung ohne Hilfe der Einigungsstelle nicht möglich sein wird.
Der Betriebsrat muss ordnungsgemäß beschließen, dass aus seiner Sicht die Verhandlungen mit dem Arbeitgeber über die konkrete Regelungsfrage gescheitert sind. Dies muss er dem Arbeitgeber mitteilen. Ebenfalls muss der Betriebsrat ordnungsgemäß beschließen, dass die Einigungsstelle angerufen werden soll, wer Vorsitzender der Einigungsstelle sein und wie viele Beisitzer die Einigungsstelle haben soll. Sinnvoll ist es, vor Benennung eines Vorsitzenden diesen zu fragen, ob er überhaupt bereit und in der Lage ist, den Vorsitz zu übernehmen; dazu sollte vorab die Meinung des Betriebsrats ordnungsgemäß gebildet werden. Der Betriebsrat muss auch beschließen, wer als Beisitzer des Betriebsrats der Einigungsstelle angehören soll. Da die Anzahl der Beisitzer aber anfangs nicht sicher feststeht – möglicherweise können sich Arbeitgeber und Betriebsrat nicht auf die Zahl der Beisitzer einigen, so dass das Arbeitsgericht diese festsetzen muss – sind ggf. später Anpassungen erforderlich. Der Betriebsrat sollte dann mit den konkreten Vorschlägen hinsichtlich der Person des Vorsitzenden und der Anzahl der Beisitzer an den Arbeitgeber herantreten mit dem Ziel der Einigung darüber. Eines sollte man hierbei im Hinterkopf haben: Manche Arbeitgeber – und im umgekehrten Falle auch so mancher Betriebsrat – lehnen aus Prinzip oder Argwohn den von der Gegenseite vorgeschlagenen Vorsitzenden ab. Wenn das zu befürchten ist, sollte man direkt einen Ersatzkandidaten vorschlagen oder zumindest in der Hinterhand haben, den die Gegenseite – oder unter Umständen auch das angerufene Arbeitsgericht – dann eher bereit ist zu akzeptieren. Kommt keine Einigung zustande, kann der Betriebsrat – einen entsprechenden ordnungsgemäßen Beschluss vorausgesetzt – die Einsetzung der Einigungsstelle mit dem von ihm gewünschten Vorsitzenden bzw. Anzahl der Beisitzer nach § 100 ArbGG (Arbeitsgerichtsgesetz) beantragen (ebenso der Arbeitgeber).
Können sich Arbeitgeber und Betriebsrat nicht über die Person des Vorsitzenden und/ oder die Anzahl der Beisitzer einigen, können beide Seiten das für den Betrieb zuständige Arbeitsgericht einschalten. Genauer gesagt: Arbeitgeber oder Betriebsrat (oder beide) beantragen, dass das Arbeitsgericht ihre(n) Kandidaten für den Einigungsstellenvorsitz bzw. die favorisierte Anzahl der Beisitzer festsetzt. Die Einlassungs- und Ladungsfristen von nur 48 Stunden für Arbeitgeber und Betriebsrat zeigen, dass die Schnelligkeit der gerichtlichen Entscheidung im Vordergrund steht. Das Arbeitsgericht – und zwar nur der Vorsitzende der zuständigen Kammer, also ohne ehrenamtliche Richter – trifft dann möglichst binnen zwei Wochen eine Entscheidung; die Entscheidung muss Arbeitgeber und Betriebsrat binnen vier Wochen zugestellt werden. Diese Entscheidung können Arbeitgeber und/ oder Betriebsrat binnen zwei Wochen im Wege der Beschwerde durch das Landesarbeitsgericht überprüfen lassen (§ 100 ArbGG). Das Landesarbeitsgericht entscheidet – wiederum nur durch den Vorsitzenden der zuständigen Kammer – dann endgültig.
Auch wenn § 100 ArbGG ein beschleunigtes Verfahren anordnet, können also gut und gerne zwei Monate bis zu der endgültigen Entscheidung vergehen. Gerade wenn es um eine dringliche Regelungsfrage geht sollten daher Arbeitgeber und Betriebsrat tunlichst versuchen, sich über die Person des Vorsitzenden der Einigungsstelle und deren Anzahl an Beisitzern zu einigen.
Ohne verallgemeinern zu wollen kann man die Entscheidungspraxis der (Landes-) Arbeitsgerichte grob in drei Lager aufteilen: erstens diejenigen, die grundsätzlich nach dem sog. Windhundprinzip (auch Müller-Prinzip genannt: „wer zuerst kommt, mahlt zuerst“) entscheiden: Das Gericht setzt als Vorsitzenden der Einigungsstelle den Vorschlag der Seite ein, die als erste den Antrag bei Gericht gestellt hat. Ein weiteres großes Lager der (Landes-) Arbeitsgerichte setzt gerade keinen der von den Beteiligten benannten Kandidaten ein, um die Einigungsstelle nicht von Anfang an zu belasten. Das dritte Lager der Gerichte zeichnet sich dadurch aus, dass es gerade nicht grundsätzlich nach diesen Prinzipien entscheidet. Hier kann es sich besonders lohnen, im Antrag direkt einen geeigneten Ersatzkandidaten zu benennen.
Die Kosten der Einigungsstelle trägt nach § 76a Abs. 1 BetrVG der Arbeitgeber. Der Vorsitzende bestimmt seine Vergütung nach billigem Ermessen (die IFA Konfliktlösung und unsere Konfliktlöser vereinbaren üblicherweise mit dem Arbeitgeber vorab die Vergütung – so kann der Arbeitgeber planen und es gibt keine bösen Überraschungen). Betriebsfremde Beisitzer sollen § 76a BetrVG zufolge eine niedriger Vergütung als der Vorsitzenden bekommen; üblicherweise 7/10. Betriebsangehörige Beisitzer haben grundsätzlich keinen gesonderten Vergütungsanspruch; dies gilt insbesondere für Betriebsräte, denen ja kein Vorteil aus ihrem Betriebsratsamt erwachsen darf. Sie haben ihren normalen Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 37 Abs. 2 BetrVG.
In der Eröffnungsphase klärt die Einigungsstelle – also der Vorsitzende und die Beisitzer – ihre Zuständigkeit. Selbst wenn der Vorsitzende vom Arbeitsgericht eingesetzt worden ist, steht die Zuständigkeit der Einigungsstelle nicht rechtlich fest. Denn das Arbeitsgericht prüft nur „summarisch“, das heißt in einem vereinfachten Verfahren ohne exakte Prüfung. Das Arbeitsgericht wird bereits dann einen Einigungsstellenvorsitzenden einsetzen, wenn die Einigungsstelle nicht offensichtlich unzuständig ist. Wenn Arbeitgeber oder Betriebsrat die Zuständigkeit der Einigungsstelle anzweifeln, können sie eine endgültige Klärung herbeiführen, in dem sie vor dem Arbeitsgericht ein Beschlussverfahren durchführen. Die Einigungsstelle prüft ihre Zuständigkeit jedoch in eigener Kompetenz und kann das Verfahren parallel auch fortsetzen, bevor eine Entscheidung im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren rechtskräftig getroffen worden ist.
Es gibt nur wenige gesetzlichen Verfahrens-Vorgaben. Nach § 76 Abs. 3 BetrVG ist die Einigungsstelle verpflichtet, unverzüglich tätig zu werden. Beschlüsse muss sie nach den dort niedergelegten – weitestgehend naheliegenden – Regelungen treffen: so muss zunächst eine mündliche Beratung erfolgen und es bedarf der Stimmenmehrheit. Eine Besonderheit ist die Aufteilung in (erforderlichenfalls) zwei Abstimmung, wobei der Vorsitzende in der ersten Abstimmungsrunde nicht abstimmen darf. Die Einigungsstelle tagt nicht öffentlich, und an der Beratung und Entscheidung dürfen nur der Vorsitzende und die Beisitzer teilnehmen.
Zudem können Tarifverträge oder auch Betriebsvereinbarungen nähere Bestimmungen zum Verfahren treffen. Darüber hinaus bestimmt die Einigungsstelle das Verfahren nach pflichtgemäßem Ermessen. Dabei muss sie jedoch rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze beachten, etwa dass der Vorsitzende neutral sein muss und dass jeder Seite rechtliches Gehör gewährt wird, also ihre Argumente vortragen und Tatsachen benennen darf.
Die Einigungsstelle hat den für ihre Entscheidung erheblichen Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären. Sie ist also nicht an einen entsprechenden Beweisantrag gebunden, etwa einen Zeugen zu hören. Sie kann nach pflichtgemäßen Ermessen Zeugen vernehmen, Sachverständige hören, Unterlagen einsehen etc. Anders als dem Arbeitsgericht stehen der Einigungsstelle allerdings keine Zwangsmittel zur Verfügung, etwa einen nicht erschienen Zeugen vorführen zu lassen. Anders als grundsätzlich im Gerichtsverfahren sind Zeugen auch nicht zur Aussage verpflichtet.
Nach wohl herrschender Auffassung kann die Einigungsstelle in Eilfällen bereits vor ihrem endgültigen Spruch vorläufige Regelungen treffen.
Hier muss man nach der Phase unterscheiden, in der sich die Einigungsstelle befindet. Grundsätzlich ist das Einigungsstellenverfahren (betriebs-) parteiöffentlich. Das bedeutet, dass Betriebsfremde grundsätzlich nicht den Sitzungen der Einigungsstelle beisitzen dürfen. Zwei Ausnahmen bestehen in der Informationsphase und in der Verhandlungsphase: Zu einen natürlich, wenn sie als Zeugen, Auskunftspersonen oder Sachverständige durch die Einigungsstelle angehört werden. Zum anderen kann die Einigungsstelle (ggf. nach Abstimmung) auf Wunsch des Arbeitgebers oder des Betriebsrats auch Dritte zulassen. Dies können z.B. Rechtsanwälte der Parteien, Mitarbeiter des Arbeitgebers, weitere Betriebsratsmitglieder oder auch Beauftragte des Arbeitgeberverbandes oder von Gewerkschaften sein.
Wen Arbeitgeber und Betriebsrat als ihre Beisitzer benennen, ist übrigens deren freie Entscheidung; dies können auch Betriebsfremde sein (was auch häufig der Fall ist, wenn etwa die jeweiligen Rechtsanwälte und Mitglieder der Verbände benannt werden).In der Beschlussphase (einschließlich der Beratung) dürfen dagegen nur noch der Vorsitzende sowie die Beisitzer teilnehmen. Nehmen dennoch Dritte teil, ist der Spruch der Einigungsstelle unwirksam (BAG, Urteil vom 18.1.1994, 1 ABR 43/93).
Je nach Verlauf der Verhandlungen und dem Verhalten der Beisitzer ist es meist sinnvoll, zwischendurch mit beiden Seiten Einzelgespräche zu führen (auch als „Pendeldiplomatie“ bezeichnet). Hier kann der Vorsitzende ausloten, welche Einigungsmöglichkeiten bestehen (insbesondere wenn beide Seiten aus Vorsicht lieber zurückhaltend agieren), wie wichtig bestimmte Punkte den Parteien wirklich sind (oder ob es sich eher um „Verhandlungsmasse“ handelt), oder auch mal gegenüber einer Seite durchblicken lassen, ohne sie gegenüber der anderen Seite bloßzustellen, dass deren Forderung oder Position unrealistisch ist, und ihr das „Machbare“ vor Augen zu führen. Das alles erfolgt natürlich unter Wahrung der Neutralität!
Alternativ, wenn die Verhandlungen festgefahren sind, können manchmal auch sog. 6-Augen-Gespräche sinnvoll sein. Hier sprechen unsere Konfliktlöser –im Einverständnis der Beisitzer – zeitgleich nur mit den jeweiligen Rechtsanwälten der beiden Seiten.
Hier muss man danach unterscheiden, ob die Einigungsstelle freiwillig oder erzwingbar ist:
- Wurde die Zuständigkeit der Einigungsstelle lediglich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat vereinbart, obwohl keine zwingende Zuständigkeitvorliegt, so bindet der Spruch der Einigungsstelle Arbeitgeber und Betriebsrat grundsätzlich nicht. Etwas anderes gilt nur, wenn beide Seiten entweder sich vorher dem Spruch unterworfen haben („was die Einigungsstelle beschließt soll dann gelten“; vgl. auch die Konstellation des § 102 Abs. 6 BetrVG) oder nachträglich den Spruch als sie bindend annehmen. Soweit der Spruch der Einigungsstelle Rechtsfragen zum Gegenstand hatte – etwa wie ein unbestimmter Rechtsbegriff (z.B. „zumutbar“) auszulegen ist –, bindet der Spruch die Beteiligten oder die Arbeitsgerichte nicht.
- In den deutlich praxisrelevanteren Fällen des erzwingbaren Einigungsstellenverfahrens bindet der Spruch der Einigungsstelle Arbeitgeber und Betriebsrat (eine Ausnahme gilt nach § 112 Abs. 3 BetrVG für den Interessenausgleich). Die Rechtsnatur des Spruches hängt dabei von dem Regelungsgegenstand ab. Häufig wird er den Charakter einer Betriebsvereinbarung haben, regelmäßig etwa wenn Rechte oder Pflichten von Arbeitnehmern durch sie begründet oder geändert werden. Eine Betriebsvereinbarung wirkt unmittelbar und zwingend auf alle von ihr erfassten Arbeitsverhältnisse ein: sie hat „normative Wirkung“ und wirkt wie ein Gesetz oder Tarifvertrag. Rechtsfragen kann die Einigungsstelle nicht bindend regeln.